PYTHAGORAS (III. Teil)

Ägyptischer Ursprung der griechischen Weisheit

Konferenz von Emmanuel d’Hooghvorst: August 1955  (III. Teil)

 „Der nächste Punkt, den ich untersuchen möchte, ist dieser: welche Vorstellung  hatte man zur Zeit des Pythagoras bezüglich der Philosophie und der Weisheit? Wir werden  sehen, dass es wiederum um genau dieselben Mysterien geht, die wir bereits zuvor erwähnt haben“!

´´Es ist unnütz, mich hier auf Dinge zu beziehen, die Ihnen bereits gut  bekannt sind. Die Historiker lehren uns, dass Pythagoras – DER ALLERERSTE – voller Demut die Qualifizierung des ´Weisen` von sich wies – selbst im Namen der Weisheit -.(cf. Iamblichos, ´La vie de Pythagore`  (Leben des Pythagoras, op. cit. § 44) – Dieses Detail – wenn es denn eins ist – verdient eine scharfsichtige Aufmerksamkeit, denn – wenn es bis zu uns gelangt ist, so gewiss, um uns etwas Nützliches zu vermitteln.

In der Antike existierten zu allen Zeiten Weisheitsschulen – meistens waren sie geheim und, um es ehrlich einzugestehen: was deren Themen betrifft wissen wir sehr wenig. Die einzigen Punkte, derer wir wahrhaft sicher sein können, sind: dass sie ein religiöses Ziel hatten – dass sie einer mythologischen Gottheit geweiht waren und dass sich in diesen Zentren Mysterien abspielten von denen man wenig aussagen kann. –  Allerdings gibt es einen einzigen Punkt über den sich alle Philosophen und Historiker der Antike einig sind: Alle führen sie den Ursprung ihrer sakralen Initiation und ihrer Weisheit auf die so genannte ´´sakrale Erde Ägyptens„  zurück, die man auch als die ´´Erde der Götter„ bezeichnete – als die Projektion des Himmels auf die Erde.

Der Mythos der Göttin ISIS; ´´Wiederbelebung im Alten Ägypten„ – Deutschlandfunk Kultur

Ich muss Sie daran erinnern, dass es wahrscheinlich bei jeder Art von Erkenntnis, die uns aus der Antike überliefert wurde, stets einen doppelten Sinn-Inhalt gab (und gibt); es gab einen klar verständlichen, gewöhnlichen Ausdruck, der eine geheime Bedeutung verbarg oder verschleierte; aber dieser geheime Sinn, bezog sich auf eine Serie von greifbaren Realitäten, deren Natur uns bis heute unbekannt blieb.„

´´In seinem Werk ISIS und OSIRIS sagt uns Plutarch, die Erde Ägyptens sei schwarz und diese schwarze Erde sei benannt mit einem griechischen Wort dessen Ursprung dem Wort ALCHEMIE entstammt und diese schwarze Erde sei OSIRIS. (Cf. Plutarque, Isis et Osiris, Guy Trédaniel (éd.) La Maisnie, Paris 1979) – Diese (schwarze) Erde wird bewässert, bedeckt und fruchtbar gemacht vom himmlischen Nil – ISIS genannt, und die Vereinigung der beiden zeugt den HORUS- mit-dem-unveränderlichen-Blick.

Diese Triade OSIRIS –ISIS – HORUS ähnelt sehr stark der Triade ZEUS – LETO – ARTEMIS/APOLLON.

Wenn die Griechen sagen, ihre Weisheit stamme von der Erde Ägyptens, dann kann das einen verborgenen Sinn haben, sofern es für jeden von ihnen möglich ist, eine Portion dieser Erde mitzunehmen.

Aber die historische Offensichtlichkeit ist so klar, dass wir glauben uns nicht zu irren, wenn wir Ägypten in hohem Maße als den Ursprung und die Bildungsstätte ganz gleich welcher Weisheits-Initiation ansehen im gesamten mediterranen Becken. Möglicherweise mag es Einflüsse von anderer Seite geben, aber diese entziehen ganz gewiss Ägypten nicht seine Vorrangstellung.

So erscheinen der Pythagorismus und die griechische Tradition als der hellenistische Zweig des ägyptischen Hermetismus.

Mehr noch: man sagt, dass Pythagoras selbst an die Ufer des Nils gegangen sei, um dort Erkenntnis zu suchen. (Cf. zum Beispiel Iamblichos, Vie de Pythagore (Leben des Pythagoras), op.cit.§§ 2 und folgende)

ÄGYPTISCHER URSPRUNG DER JÜDISCHEN WEISHEIT

Es gibt jedoch noch eine andere Tradition, die ebenfalls ihren Ursprung in Ägypten hat und die reichlich schriftliches Material hinterließ, das uns  zu unserer Information zur Verfügung steht, damit wir es nutzen können. Es ist die hebräische Tradition: Moses kam aus Ägypten und wurde in den ägyptischen Tempeln initiiert, jedoch im Gegensatz zum hellenistischen Zweig verließen die Juden Ägypten als undankbare Kinder, indem sie ihre Zieh-Eltern enteigneten. „

Hier  ein ergänzender  Vers aus dem Werk DIE WIEDERGEFUNDENE BOTSCHAFT: „Die versklavten Semiten haben von den Ägyptern das Geheimnis Gottes geerbt und sie sind frei und glorreich geworden. Die Abendländer haben von den hochmütigen Semiten das Geheimnis Gottes geerbt und sie sind frei und glorreich geworden, -.-.-.-.-.–.“ (XXVI, 39)

Machen wir nun einen kurzen Streifzug durch die Bücher der Weisheit des Alten Testamentes und sehen wir, ob wir dort etwas entdecken, das Licht auf unser gegenwärtiges Thema werfen wird.  – Sofort treffen wir auf eine Figur der Weisheit, deren Größe die gesamte Bibel beherrscht: SALOMON.

König Salomon – Portrait von Pedro Berruguete, realisiert um 1500 (Wikipedia)

Bedenken Sie an dieser Stelle, dass er berühmt war wegen seiner Liebe zu SULAMITE, und der geheime Sinn dieses Namens ist kein anderer, als die weibliche Form des Namens Salomon. Deshalb können wir die SULAMITE als Salomons Seelen-Schwester bezeichnen, genauso wie es der Fall ist bezüglich ISIS und  OSIRIS. Und SULAMITE war ebenfalls schwarz:

„Schwarz bin ich, aber schön; schaut nicht auf meine schwarze Haut, die Sonne hat mich verbrannt“. (Das Hohelied, das auch Salomon zugeschrieben wird. I,5)

Eine große Anzahl von Weisheitsbüchern wurde – ob zu recht oder unrecht – Salomon zugeschrieben (mit Ausnahme des Buches Ecclesiasticos. Welches Jesus Sirach zugeschrieben wird), weil hier – mehr als sonst wo – von der Weisheit und von den Mitteln, wie man sie erwirbt die Rede ist. Und, während wir diese Bücher lesen erinnern wir uns an die Art und Weise wie sich Salomon in seinem berühmten Gebet direkt an Gott selbst wandte und IHN anflehte mit der inbrünstigen Bitte um Weisheit. – Welcherart  Dinge erbittet Salomon in seinem Gebet? – Er sagt:

„Gib mir die Weisheit, die sich an der Seite Deines Thrones befindet“! (Weisheit IX, 4)

Diesen Thron – dem die Weisheit gemäß der kabbalistischen Doktrin nahe sein soll  – kann man oberhalb des Firmamentes, in den feurigen Himmeln – genannt CHAMAIM – suchen. Das ist eine Region, die brilliert und die aufgrund eines reinen und essentiellen Feuers  flimmert, schimmert und funkelt.

Aus CHAMAIM geht HOKMAÉL  hervor – der Geist göttlicher Weisheit – der die frommen Menschen, die IHN anrufen, erleuchtet.

Welcher Art ist die Natur dieser Weisheit und welche Rolle spielt sie? Hören wir nun das Gebet des Salomon:

„ 1.GOTT meiner Väter und HERR des Erbarmens, Du hast das Universum durch Dein Wort gemacht. 2. Den Menschen hast Du durch Deine Weisheit erschaffen, damit er Meister Deiner Kreaturen sei, 3. damit er in der Welt herrsche mit Gerechtigkeit und Heiligkeit und Gericht halte  in rechter Gesinnung. 4. Gib mir die Weisheit, die an Deiner Seite thront und verstoße mich nicht aus der Schar Deiner Kinder! 5. Ich bin Dein Diener, der Sohn Deiner Magd, ein schwacher Mensch, dessen Leben kurz ist, und gering ist meine Einsicht in Recht und Gesetz. 6. Wäre einer auch vollkommen unter den Menschen, wenn ihm die Weisheit fehlt, die Du gibst, so wird er als eine Null gezählt. 7. Du hast mich zum König  Deines Volk erwählt, um über Deine Söhne und Deine Töchter zu regieren: 8. Du hast mir befohlen einen Tempel auf Deinem Heiligen Berg zu bauen und einen Altar in der Stadt Deiner Wohnung, ein Abbild des Heiligen Wohnsitzes, den Du von Anfang an gegründet hast. 9. Mit Dir ist die Weisheit, die deine Werke kennt und die zugegen war, als Du das Universum erschaffen hast. Sie weiß, was Deinen Augen gefällt und was mit Deinen Verordnungen übereinstimmt. 10. Sende sie gnädigst von den Heiligsten Himmeln; lass sie herabkommen vom Thron Deiner Herrlichkeit, damit sie wirke an meiner Seite und mich lehre was Dir gefällt. 11. Denn sie weiß alles, begreift alles, sie wird mich in meinem Tun besonnen leiten und mich in ihrem Lichtglanz schützen. 12. Dann werden Dir meine Werke gefallen, Dein Volk werde ich gerecht regieren und ich werde des Thrones meines Vaters würdig sein, 13. Denn welcher Mensch könnte die Absichten Gottes erkennen und wer begreift, was der HERR will? 14. Die Überlegungen der Sterblichen sind ungewiss und unsere Gedanken unsicher; 15. denn ein vergänglicher Leib beschwert unsere Seele und diese Hülle aus Ton belastet unseren Geist der tausenden von Gedanken. 16. Wir erraten kaum, was auf der Erde vorgeht und mit Mühe finden wir, was auf der Hand liegt; wer könnte dann ergründen, was im Himmel ist? 17. Und wer hätte je Deinen Willen erkannt, wenn Du ihm nicht Weisheit gegeben hättest und Deinen Heiligen Geist gesandt hättest aus der Höhe? 18. Nur so sind die Pfade der Erdenbewohner gerade geworden; und die Menschen lernten, was Dir gefällt; 19. durch die Weisheit wurden sie gerettet. So sei es! (Buch der Weisheit: IX, 1-18). (Der übersetzte Text ist angelehnt an den Wortlaut der Neuen Jerusalemer Bibel).

Die Weisheit wird hier beschrieben als das Mittel zur Realisierung aller Dinge, als der Gedanke selbst von Gott, der manchmal auf die Erde herabsteigt, um die frommen Menschen zu erleuchten, um sie in ihren Handlungen zu leiten und ihnen durch seinen Rat beizustehen. Man sagt auch, dass der Mensch ohne die göttliche Weisheit nichts tun kann, um Gott zu gefallen. „

HEPHAISTOS (Lat. VULCANUS) und ATHENE (Lat. MINERVA)

Kommen wir jetzt zurück zum Hellenismus und zum Pythagorismus. Hier finden wir zwei mythologische Symbole, die volles Licht auf unser Thema werfen werden.

Porphyrios sagt uns u. A. in seiner Abhandlung von den Idolen, dass Hephaistos ein Sohn von Zeus (lat. Jupiter) war und dass er bei ihm auf dem Olymp war, um dort zu scheinen (oder glänzen).

Aber eines Tages zürnte der Vater ihm und schickte ihn hinunter auf die Erde. Seither benötigt Hephaistos einen Träger, um zu brennen; er benötigt nun ständig Holz – das heißt: Materie. Er hinkt und wurde verunstaltet und hässlich, aber nun ist er ein weltweit tätiger Schmied. M Geheimen – in den Tiefen des Hades (im Gegensatz zur Insel Délos) schmiedet er alles, was mit der Zeit zu Materie wird.

Hierzu gäbe es viel zu sagen – speziell zur Geschichte des Pythagoras, der – wie richtig gesagt – in einer Schmiede initiiert  und über das Ohr in die –Gesetze der Harmonie ausgebildet wurde (Cf. Iambliquos, Vie de Pythagore, op. cit., §§ 115 und 116).

Höret die Stimme des Feuers.

Schließlich finden wir unter den Stuck-Arbeiten der pythagoreischen Basilika der Porta Maggiore –  die so wundervoll beschrieben wird von Caropino –  eine mythologische Zentralfigur, der wir uns hier zum Abschluss zuwenden. Diese Arbeiten präsentieren den schlauen und pfiffigen Odysseus stehend vor einer sitzenden Frau, in der der Kommentator Helene – die Gemahlin des edlen Menelaos – sieht.

Es ist unmöglich Odysseus  von der Ratgeberin Pallas-Athene zu trennen – die auch der Vormund und die göttliche Beschützerin für ihn ist  und die ihm zum Schluss den vollen Erfolg seiner Mühsale und Widerwärtigkeiten verschafft.

Wer war Pallas?

Sie erinnern sich, dass sie in voller (Aus-)Rüstung aus dem Hirn/Kopf des ZEUS-PARTURIENS hervorgeht: sie ist also der magische Gedanke – oder das magische Denken – Gottes. Bereits vor den Ur-Anfängen der Erde war sie von IHM eingesetzt (Sprüche VIII, 22 und die folgenden).

HOMER – der stets wegen der Schönheit seiner Poesie studiert wird  und nie wegen seiner Weisheit – lässt sie manches Mal vom Olymp heruntersteigen, um die Sterblichen, die sie lieb gewonnen hat, zu unterrichten und um ihnen mit ihrem weisen Rat zur Seite zu stehen.

Pallas scheint von einem griechischen Wort abzustammen, welches – ohne die geringste abfällige Absicht – dasselbe bedeutet wie ´Konkubine` oder aber auch ´Priesterin` und ´Jungfrau`.

Wie bei Odysseus und Salomon besteht die Weisheit darin, Gottes Liebe zu gewinnen, sie von Gott – ihrem Vater – zu erhalten und sich aufgrund dieser Liebe durch eine jungfräuliche Heirat zu verehelichen.

Sie ist treu in ihrer Zuneigung. Denen, die sie gewählt haben zeigt sie die Realisierungen Gottes – ihres Vaters – die Art und Weise wie die Welt gemacht wurde. Sie leitet sie in deren Handlungen, damit sie nicht verlassen seien auf der Erde; sie macht sie unsterblich.

Auf sie (als Priesterin) beziehen sich die folgenden goldenen Reime:

Rembrandt, Athena – Museum Calouste Gulbenkian, Lissabon

 „Sie sind von Göttlicher Abstammung – diese sterblichen Menschen, denen die sakrale Natur alle Dinge enthüllt (Pythagoras, Les Vers d’or, 63 und 64, Tredaniel, Paris, 1979)

„Wenn PALLAS Ihnen gnädig ist“,  sagt Khunrath, „dann werden Sie – wie es Odysseus geschah – in die Höhle des Zyklopen eintreten und wenn Sie hinuntersteigen in den Hades, so werden Sie gesund und gerettet wieder daraus hervorkommen. Wenn Sie sich den Lotophagen nähern und den Syrten, so werden Sie doch mit aller Sicherheit hierher zurückkehren. Wenn Sie aus dem Krug der Circe trinken, so werden Sie nicht verwandelt werden und wenn Sie nahe an Scylla vorbeischiffen, so werden Sie nicht verschlungen werden. Wenn Sie die Stimmen deröhle Sirenen hören, so werden Sie nicht einschlafen – im Gegenteil – Sie werden Richter von Allen sein. (Heinrich Khunrath:  ´Interpretation des fünften Grades` in ´Amphitheatre de l’éternelle sapience`- CCV, Arché, Milano, 1975).

Allein ER – dieser Odysseus – scheint es, kann im wahren pythagoreischen Sinne als wahrhafter Philosoph bezeichnet werden.

Und nun – um zum Schluss zu kommen – lade ich Sie ein, über diese Inschrift zu meditieren, die man gemäß Plutarch auf dem Giebeldreieck des Pallas-Tempels zu SAÌS lesen konnte:

„Ich bin Alles, was ist, Alles, was war und Alles, was sein wird. Meinen Schleier hat noch niemals ein Sterblicher gelüftet und die Frucht meines Schoßes ist die Sonne gewesen“ . (Plutarch, Isis et Osiris, op. cit., § 9; Proclus, Commentaire sur le Timée de Platon, 30.)

´´Das größte Gebet ist, hinzuhören

Das größte Lob ist, zu schweigen.

Die größte Meditation ist, nicht mehr nachzudenken.

Die größte Tat ist, in Gott zu ruhen.„

(Die Wiedergefundene Botschaft – XXIII, 73’)

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